Wir wollen wachsen – am besten gleich über uns hinaus. Größere Städte, Autos, Kontostände. Wir wollen schneller, weiter, mehr. Wir wollen bessere Lösungen, effektiver, innovativer, kreativer. Und das wollen wir alles jetzt, so schnell wie möglich. Vielleicht auch direkt vor die Haustür geliefert? Wachstum stellte lange die grundlegende Maxime unseres gesellschaftlichen Anspruches dar. Was der Kapitalismus in der Wirtschaft so gut zu schaffen schien, übertrugen wir also auch auf andere Teile unseres Lebens. Das Wachstum kennt dabei eine Richtung: nach vorn. Es sucht den kürzesten Weg, keine Umwege, keine Pausen. Dabei kennt es die Richtung und ein Ziel, das keines ist: immer weiter. So ist Wachstum doch nie genug, oder? Viel hilft viel?
Lange haben wir nur nach vorn geschaut. Gefangen in Rationalisierungsprozessen und Berechnungen des kürzesten Weges, hörten wir der monotonen Stimme des Navigationsgerätes zu, welches uns sofort auf die Autobahn schickte – der kürzeste Weg. Was mögen wir wohl alles rechts und links liegen gelassen haben?
Wachstum hat Grenzen. Das lernen wir – schmerzhaft. So opfern wir Lebensräume, Vielfalt, Einzigartigkeit. Wir opfern tagtäglich etwas in uns, von uns. Wir brennen aus, weil wir einem Ziel hinterherlaufen, welches keines ist. Einer Fata Morgana. Dabei halten wir uns an eine Route, die uns als die schnellste, beste, effektivste vorkommt. Wir alle, so verschieden wie wir sind, setzen uns einen Weg, eine Anleitung zum Vorbild, zwängen uns in eine Form. Und das, um Ziele zu erreichen, die gar nicht die unseren sind. Was wäre bloß, würden wir uns aus diesen Formen befreien? Wenn wir, statt die vorgelebten Ziele als gegeben zu akzeptieren, unsere eigenen suchen? Wenn wir das Individuelle erkunden, ausbreiten, auffalten – entfalten? Wie eine Decke, die wir sorgsam zusammengelegt haben, damit sie auch ja in die Schublade passt. Breiten wir sie aus, erlauben wir dem weichen Stoff, sich seinen eigenen Weg zu bahnen. So zu fallen und zu liegen, wie es ihm taugt. Wir erlauben ihm, seinen individuellen Sinn zu suchen und zu erfüllen.
Entfaltung ist nicht statisch, sie ist nicht zielgerichtet oder gradlinig. Sie lässt sich nicht forcieren, nicht lenken, nicht eingrenzen. Entfaltung ist die Öffnung dessen, was einst sauber zusammengefaltet wurde, um in eine Form zu passen. Während das Wachstum versucht, etwas zu schaffen, was noch nicht da ist, ist die Entfaltung eine Entdeckung des in uns Schlummernden, der Talente, Träume und Ziele – der unendlichen Möglichkeiten und Potentiale, die jede und jeder von uns in sich trägt, wenn sie oder er sich traut, diese zu erforschen. Entfaltung ist die Entdeckung der wahren Größe. Das Erkunden, der eigenen Richtungen und Ziele. Entfaltung entsteht aus der Mitte heraus und breitet sich daraufhin neugierig in alle Richtungen aus. Das Ziel: unbekannt? Und doch erfasst sie so viel mehr als die gradlinige, gehetzte Suche nach einem geisterhaften Sinn und Zweck, der uns nicht mehr berührt, nicht mehr mitnimmt.
Entfaltung ist nicht nur die Entdeckung von Neuem, es ist auch die Akzeptanz und Wertschätzung des Vorhandenen, des Individuellen. Dieser Weg kann zunächst nicht nur positiv sein, wie es das Wachstum für uns zu sein scheint. Er kann auch Dinge zum Vorschein bringen, die wir nicht erwarten. Dinge, die wir zunächst nicht zu mögen glauben. Entfaltung ist, sich selbst kennenzulernen, sich selbst zu erkennen. Es ist nicht nur ein Prozess, es ist eine lebenslange Reise, eine Einstellung, eine Sichtweise auf sich selbst und die Welt. Diese Reise erfordert Courage und Mut. Denn die Entfaltung persönlicher Potentiale ist nicht die einfachste Lösung – und doch ist es die Einzige, die uns zu unserem persönlichen Ziel führt. Zu wirklicher Erfüllung der eigenen Bedürfnisse, zur Erkenntnis des ganz persönlichen Beitrags, den man für sich und die Gesellschaft leisten kann.
Wachstum ist wichtig. Aber es kann nicht länger die einzige Maxime unseres Schaffens sein. Es muss mehr geben als einen Weg. So ist die Welt, dreht sie sich doch immer schneller, verändert sich immer kontroverser – doch zu breit gefächert, zu bunt, ausgestattet mit zu vielen Umwegen und Nischen und Ecken und Kanten, um nur in eine Richtung zu wachsen. Entfaltung der inneren Stärke, des inneren Kernanliegens, geleitet von Neugier und Vertrauen, kann uns mehr Wege aufzeigen, Gesellschaft gemeinsam zu gestalten.
Entfaltung ist das neue Wachstum?! Mit dieser Frage, diesem Impuls, diesem Kernanliegen starten wir in ein neues KU Jahr. Mutig gewillt neue Wege zu gehen, nicht gradlinig, sondern intuitiv, kreativ und inkludierend. Jeden wunderschönen Umweg erkundend, jeder Nische eine Chance gebend, sie zu erfüllen. Nach zwei Jahren Pandemie freuen wir uns ganz besonders auf die persönliche Begegnung mit Mensch, Natur und Gedankengut – mit allem, was uns und unsere Umwelt zur Entfaltung anregt. Und wir freuen uns auf alle, die uns dabei aus unserem Ökosystem und darüber hinaus begleiten.
Lange haben wir nach einfachen gesellschaftlichen Lösungen gesucht. Nach geraden Wegen und rationalen Erklärungen, für die Phänomene und Geschehnisse, die uns begegnen. Das muss nicht falsch sein – aber wir haben gelernt, dass es auch nicht das einzig Richtige sein kann. Wir als Kreatives Unternehmertum wollen nicht versuchen vorzugeben, welches der richtige oder der falsche Weg sein mag, stattdessen wollen wir durch Impulse zur Entfaltung anregen. Neugier schaffen, Unkonventionelles zelebrieren. Mut machen, Gesellschaft gemeinsam gestalten.
Getrieben von einer tiefen Neugierde, Beziehungen und Zusammenhänge zu erkunden studiert Vivian an der Zeppelin Universität Soziologie, Politik und Wirtschaft. Als Nordlicht am Bodensee zieht sie besonders viel Kraft aus Begegnungen mit Menschen und Natur in diesem besonderen Umfeld. Ein verstärktes inhaltliches Anliegen ist für sie die Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Fragen sowie Chancengleichheit jeglicher Form. Der Diskurs und die Auseinandersetzung, die Reibung und der Austausch stellen für sie den Weg dar, um gemeinschaftlich Gesellschaft zu gestalten.