Umbrüche liegen vor uns. In wenigen Wochen endet ein Jahr und ein neues beginnt. Und nicht nur kalendarisch bewegen wir uns zwischen den Jahren, zwischen den Welten. Manchmal in eine ungewisse gesellschaftliche, persönliche oder unternehmerische Zukunft blickend, fragen wir uns in diesem Gedankenspiel, was das Verbindende, das Ermutigende, das Aktivierende in diesen Zeiten sein mag. Ein Rückblick auf kleine Schritte und große Sprünge einer Entfaltungsreise und auf eine neue Grundhaltung für alles, was noch kommen mag.
Blicken wir zurück auf ein weiteres Jahr Kreatives Unternehmertum und ein Jahr „Entfaltung ist das neue Wachstum?!“ sehen wir darin vor allem den Beitrag, den es zu unserer unternehmerischen Haltung gegeben hat. Unser Jahresthema ist für uns in den vergangenen Monaten weit mehr geworden als nur ein bloßes Motto. Wir starteten in das Jahr wie in ein Experiment. Das Thema bewusst mit einem Fragezeichen versehen. Und wie auch unsere Resonanz-Kultur-Theorie nahmen wir die Frage „Ist Entfaltung das neue Wachstum?“ mit in die Begegnungen auf dem KU Campus, mit in die persönlichen Gespräche und unternehmerischen Vorhaben unserer Projekte. Und haben wir das Thema zu Beginn des Jahres noch mit einem leicht zögernden Fragezeichen versehen, können wir ihm jetzt für uns mit einer klaren Antwort begegnen: Diese Antwort gestaltet sich jedoch so viel intuitiver und weicher und zyklischer als wir zu Beginn vermutet hätten. Sie gestaltet sich – wie alles, womit wir Gesellschaft gestalten wollen – menschlicher. Ja, Entfaltung ist das neue Wachstum. Sie ist das konsequentere Wachstum, das natürlichere, allumfassendere Wachstum.
Auf einer interdisziplinären Reise durch das KU Ökosystem haben wir auf der IV. KU Strassenschau unser Jahresthema aus unterschiedlichsten Perspektive betrachtet und Impulse gesammelt, die uns Schritt für Schritt näher zu einer Haltung brachten, mit der wir unternehmerisch der Gestaltung von Übergängen und Gesellschaft begegnen wollen. Eine intensive Begegnung beim VII. KU Kongress auf den Neuen Höfen in der Neuhof an der Zenn schenkte uns tiefere Einblicke in die Entfaltungsreisen unserer Impulsgebenden. Diese Begegnungen trugen alle in ihrer Form bei zu der Beantwortung unserer Frage, zu der Weiterentwicklung unserer unternehmerischen Haltung und zur kreativen Gestaltung unseres Gesellschaftsgestaltertums. Dieses KU Jahr 2022 schenkte uns neue Formate zur Entwicklung ganzheitlicher Begleitungs – und Ausbildungsmodelle für zukünftige Kreative Unternehmer:innen. So beginnen wir das nächste Jahr mit einem Angebot für eine ganz neue Generation Gesellschaftsgestalter:innen, die wir in unserem Schüler:innen-Stipendium begleiten dürfen. Auch blicken wir neugierig in die Zukunft unserer fünf neuen Macher:innen-Teams.
Das Verbindende zwischen diesen Entfaltungsschritten ist die Art und Weise der Begegnung, die uns wieder ein Stück näher an die Beantwortung unserer Jahresfrage bringt. Entfaltung ist eine neue gesellschaftliche Dynamik, ein Ziel und doch gleichzeitig die Form, in der wir den Weg zu diesem Ziel beschreiten.
Das Bemerkenswerte an dieser (und vielleicht jeder) Entfaltungsreise: Die Schritte in die richtige Richtung kommen teils bewusst, teils unbewusst. Mal aus dem Herzen, mal aus der Hand oder aus dem Kopf. Das Gute liegt so nah – so nah sogar, dass wir das, was wir suchen, meist dort finden, wo wir es nicht vermuten würden. So warten wir doch manchmal auf den Impuls, der uns den nächsten großen Sprung verschafft. Den Schritt in diese eine Richtung, in die wir so gern wachsen wollen und vergessen dabei, der Entfaltung des Wirklichen Raum zu geben. Wagen wir ab und zu den Blick in die letzten zwölf Monate stellen wir vielleicht fest, dass die Entfaltung uns in ganz andere Bereiche unserer persönlichen Landkarte gebracht hat als wir es zuvor vermutet oder erhofft hatten.
Der Soziologe Hartmut Rosa, der unsere Resonanz-Kultur-Theorie maßgeblich mitbeeinflusste, schreibt über die Resonanz der Weltbeziehungen. Für das Gelingen von Resonanzbeziehungen zu unseren Mitmenschen, zur Liebe und zur Leidenschaft, zur Arbeit, Natur und Gesellschaft braucht es verschiedene Prämissen. Eine davon ist das Weltvertrauen, wie Rosa es nennt. Eine Resonanzbeziehung braucht Vertrauen, weil sie ein Gespräch eröffnet, dessen Ausgang unbekannt ist.
In wenigen Wochen endet ein Jahr und ein neues beginnt. Für einige ist die aktuelle Zeit geprägt durch Umbruch und Ungewissheit. Wir neigen dazu, diesen Umbrüchen in alter Manier zu begegnen, sehen das Träumen als Luxus, ganz nach dem Motto: die Welt retten wir, wenn weniger los ist. Doch lernen wir eines aus Rosas Schriften über die Soziologie des guten Lebens, dann ist es, dass die Öffnung zum Weltvertrauen hin nicht nur zuträglich für uns ist, sie ist die einzige Möglichkeit für die Entstehung von Resonanzbeziehungen mit unserer Umwelt. Lernen wir, auch in Zeiten der Ungewissheit mit Offenheit für das, was sich entfalten mag, den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, geben wir uns selbst die Chance, impulsierende, menschliche, resonierende Beziehungen zu uns selbst und unserem Leben zu entwickeln und zu pflegen.
Ist Wachstum das, was wir steuern können, das, was klar und grade verläuft, ist Entfaltung das, was Vertrauen benötigt. Aber, so lernten wir auch im vergangenen Jahr, es ist auch das Einzige, was uns als Menschen mit der Entwicklung resonieren lässt. Behandeln wir unser Wirken in der Welt wie eine Beziehung zu ihr, mögen wir zwar einstweilen leichtere oder schwerere Beziehungskrisen überwinden müssen, aber diese zum Positiven zu wenden, ist nur möglich, wenn wir in das Bestehen der Weltbeziehungen vertrauen. Doch: Glauben und Wissen, Resonanz und Stille, Entfaltung und Wachstum – diese Begriffe als Gegensätze zu verstehen wäre ein Verständnis der Welt in alter Manier. Wir lernen, dass zu unserem Paradigmenwechsel, zu einem neuen Zeitalter Unternehmertum, zu Post-Moderne und Post-Materialismus, zu mehr Menschlichkeit und Resonanz, zu mehr gutem Leben vor allem gehört, Veränderungen als Dynamiken zu verstehen. So lernen wir in diesem Jahr: Entfaltung ist nicht das neue Wachstum im Sinne einer disruptiven Veränderung des Menschen und der Welt und Himmel und Hölle. Wachstum ist ein Teil von Entfaltung, Entfaltung die bessere, dynamischere Version der Dynamiken, mit der wir unsere Gesellschaft gestalten können. Begegnen wir Umbrüchen mit Vertrauen in die Kraft der Entfaltung der persönlichen und gesellschaftlichen Potentiale, kommen wir vom Denken ins Handeln und vom Misstrauen ins Gestalten.
Kreatives Unternehmertum blickt mit Dankbarkeit auf ein vergangenes und mit Vertrauen auf ein neues Jahr. Wertschätzend für alle bestehenden, prägenden Begegnungen, die alle einen Schritt zu der Entfaltung einer Vision und unternehmerischen Haltung beigetragen haben, mit der wir voller unternehmerischer Vorfreude in ein neues Jahr gehen.
Getrieben von einer tiefen Neugierde, Beziehungen und Zusammenhänge zu erkunden studiert Vivian an der Zeppelin Universität Soziologie, Politik und Wirtschaft. Als Nordlicht am Bodensee zieht sie besonders viel Kraft aus Begegnungen mit Menschen und Natur in diesem besonderen Umfeld. Ein verstärktes inhaltliches Anliegen ist für sie die Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Fragen sowie Chancengleichheit jeglicher Form. Der Diskurs und die Auseinandersetzung, die Reibung und der Austausch stellen für sie den Weg dar, um gemeinschaftlich Gesellschaft zu gestalten.